Sie stehen, sitzen, springen, liegen, duschen, baden und begeistern Menschen in ganz Deutschland – und in diesem Jahr bereits zum zweiten Mal auf Sylt: Die Alltagsmenschen der international bekannten Künstlerin Christel Lechner. In meinem Interview erfährst du, warum Christel ab und zu mit einem Fotoapparat vor dem Fernseher sitzt, wieso man ihre Mitarbeiter schon mal bei einer Polonaise oder „Reise nach Jerusalem“ ertappt und was sie an Sylt besonders liebt.
Alles begann mit Herrn und Frau Bornemann
An 13 verschiedenen Standorten haben die sympathischen und zugleich imposanten Kunstfiguren ihre Plätze eingenommen und stehen für Christel Lechners Credo: „Gelebtes Leben ist die menschlichste Form der Schönheit.“ Die Arbeiten sind innerhalb der vergangenen 30 Jahre zum wesentlichen Inhalt des Lebens der Künstlerin geworden. Mit der Zeit wuchsen nicht nur Lechners Arbeiten selbst, sondern auch ihre Vision davon, mit welcher Art Kunst sie Spuren hinterlassen möchte. In Zusammenarbeit mit ihrer Tochter Laura Lechner, Meisterschülerin der Kunstakademie Düsseldorf, entstehen Skulpturen in dem Atelier des Lechnerhofs.
Sylt Fräulein: Frau Lechner, wie hat das mit den Alltagsmenschen alles einmal angefangen?
Christel Lechner: Ich bin Keramikerin und habe in Münster an der Werkkunstschule studiert. Meine ersten Betonskulpturen vor mehr als 30 Jahren waren Hühner. Mein damaliger Mann (der Künstler Peter Lechner, Anm. d. Red.) brachte mich auf das Trägermaterial, das ich noch heute benutze. Die ersten Alltagsmenschen waren Herr und Frau Bornemann: Zwei Menschen, die mir im Alltag begegnet sind. Sie war vollschlank, mit naturfarbenem Korsett und trug einen Jerseyrock und eine Organza-Bluse. Er wiederum war ein bisschen kleiner und zierlicher und trug immer ihre Einkaufstasche. Beide für sich bemerkenswerte Persönlichkeiten. Diese zwei wollte ich als Skulptur umsetzen – mit Lebensfreude, aber auch ernst genommen.
Wie entwickelte sich die Erfolgsgeschichte der Alltagsmenschen weiter?
Angefangen hatte ich also mit den Bornemanns, und es war eine schmale Gratwanderung zwischen Humor und Ernsthaftigkeit. Ein langer Weg, aber dann haben sich die Skulpturen emanzipiert und fanden eine breite Akzeptanz. Und mit der Zeit wurden sie immer ein wenig menschlicher, ein wenig individueller, ein wenig charakteristischer. Und während ich anfangs noch mit einem Pferdeanhänger von Ort zu Ort fuhr, hielten die Skulpturen langsam Einzug in die Städte und die heiligen Museumshallen. Dennoch ist der öffentliche Raum die Heimat der Alltagsmenschen: Dort, wo sie Menschen begegnen. Auf Straßen, auf Plätzen, in Fußgängerzonen und Parkanlagen. Kunst, die frei zugänglich ist und auch diejenigen erreicht, die nicht oder nur selten ein Museum oder eine Gallerie besuchen. Situationen des Alltags im Alltag. Situationen, die mir begegnen.
Warum gerade Menschen aus dem Alltag?
Gelebtes Leben ist für mich die menschlichste Form der Schönheit. Ich möchte die Leute in ihrem Alltag abholen und sie erreichen: Emotionen wecken, innehalten, schmunzeln, vielleicht auch sich selbst wiederfinden lassen. Man sieht zum Beispiel Skulpturen unter einer Dusche und findet sich oder andere wieder. Also eine Alltagssituation, ein Spiegel, aber dennoch ein respektvoller Umgang miteinander. Und da sind wir auch dem Kern meiner Arbeit ganz nahe, die die Menschen respektiert und schätzt. Dabei ist meine Arbeit oftmals intuitiv begreifbar. Es gibt nur einige, die nicht wissen wie sie damit umgehen oder es einordnen sollen. Wie jeder Künstler möchte ich, dass seine Arbeiten die Menschen berührt. So stehen bei mir die Menschen und die Arbeit im Vordergrund.
Verraten Sie doch mal, wie Sie auf die Ideen zu Ihren Figuren kommen.
Das ist sehr unterschiedlich. Bei einer Ausstellung in München saß ich mit meinen Freundinnen in einem Lokal. Wir waren etwas verhalten als eine Polonaise mit Männern in kurzen Hosen die Runde machte. Irgendwann kam diese Polonaise dann auf uns zu und plötzlich wurde ich in die Gruppe hineingezogen. Und dieser Moment, dieser Perspektivwechsel, faszinierte mich und regte den Gedanken daran, es künstlerisch umzusetzen. Ob man beobachtet oder Teil einer Inszenierung ist, das ist ein Kontrast – zwei verschiedene Dinge. So ist die Idee zur Polonaise geboren, die am Kurhaus zu sehen war. Sie umfasst 19 Skulpturen und ich habe mehrere Jahre bis zum endgültigen Ergebnis daran gearbeitet.
Für mich geht es darum, die Leute zu berühren. Ich bin nur der verlängerte Arm. Es geht nicht so stark um meine Person, sondern darum, die Menschen irgendwo abzuholen. Das ist das Schönste für mich. (Christel Lechner)
Und wie machen Sie das dann? Haben Sie Fotos von den Menschen oder der Situation?
Oft stellen wir zu Hause etwas nach. Bei der Polonaise wurde mein ganzes Team auf dem Lechnerhof mit einbezogen. Genauso bei der „Reise nach Jerusalem“. Meine Tochter Laura filmte das Ganze. Sie ist selbst Künstlerin und Meisterschülerin der Kunstakademie Düsseldorf. Laura begleitet und unterstützt mich seit Jahren bei der Arbeit. Gemeinsam erarbeiten wir aus den Ideen die späteren Skulpturen. Verbinden Sie denn mit jeder Figur so ein Erlebnis? Häufig, aber es ganz unterschiedliche Situationen. Bei den roten Frauen (Inszenierung „Rotes Sofa“, Anmerk. d. Red.) war es ein Film, der den Anstoß gab. Die Frauen trugen alle rote Kleider und hatten eine besondere Wirkung. Ich habe sie in den verschiedenen Haltungen direkt vom Fernseher fotografiert. Oft sind es aber auch Situationen und Menschen, die ich in meinem alltäglichen Leben beobachte.
Wie kam es, dass Sie die Alltagsmenschen auch auf Sylt ausstellen können?
Meine Arbeiten sind Momentaufnahmen, die dann funktionieren, wenn Ihr alltäglichen Umfeld mitgelesen wird. Dann verändern Sie, lassen uns schmunzeln und innehalten. Sylt bietet dafür außerordentliche Möglichkeiten. Pastor Rainer Chinnow und Henning Sieverts (Geschäftsführer des Tourismus-Service Wenningstedt- Braderup, Anmerk. d. Red.) ermöglichten mir die Umsetzung. Das war wunderbar für mich. Stark unterstützt wurde ich hier auch von meinem Mann Edgar, der Sylter war. Es war auch sein Traum, dass ich hier ausstelle. Leider ist er im letzten Jahr verstorben, aber es war ein ganz besonderer Moment für uns beide, die Ausstellung noch gemeinsam eröffnen zu können.
Es entstehen jeden Tag neue Erinnerungsfotos mit Ihren Figuren. Wie fühlt sich das für Sie an?
Die Interaktion ist gewollt, auch wenn das Ergebnis nicht planbar ist. Ich bin natürlich sehr froh, dass unsere Arbeit es wirklich schafft, die Leute zu berühren und jedem die Möglichkeit gibt als normal zu begreifen, was schlicht normal ist.
Wie geht es Ihnen denn damit, wenn die Figuren beschädigt werden?
Das passiert zum Glück immer seltener: Wir erhalten so positives Feedback von den Menschen und es sind nur wenige Einzelfälle, in denen so etwas passiert.
Arbeiten Sie immer wieder an neuen Figuren?
Die Arbeit muss lebendig bleiben. Meine Tochter und ich sind bestrebt, die Arbeiten immer wieder neu zu gestalten, andere Facetten zu finden. Unsere künstlerische Umsetzung entwickelt sich immer weiter. Und es ist jedes Mal spannend zu sehen wie die Menschen darauf reagieren. Dieses Jahr sollte es eine ganz lange Tafel vor dem kursaal3 geben, mit einer weißen Decke, die im Wind weht und mit zehn Skulpturen. Aufgrund der Pandemie wurde die Tafel sogar in drei Tische mit gebotenem Sicherheitsabstand aufgeteilt. Das tut der Fröhlichkeit und Geselligkeit aber keinen Abbruch! Und die Menschen können sich dazusetzen.
Sie sind dann ja viel auf Sylt. Wo halten Sie sich am liebsten auf?
Ich habe meinen ersten Wohnsitz hier. Mein Atelier ist aber weiterhin in Nordrhein-Westfalen auf dem Lechnerhof. Ich mag es auf Sylt am liebsten da, wo es ein bisschen stiller ist. Wenn man zum Beispiel von Kampen nach List wandert, dann hat das so eine Weite, das ist mein Lieblingsblick. Da bin ich auch mit meinem Mann oft gewesen.
Gut zu wissen
Die Alltagsmenschen werden voraussichtlich bis Herbst zu Gast in Wenningstedt-Braderup sein und dich zum Bewundern, Schmunzeln oder zu dem einen oder anderen Erinnerungsfoto einladen. Eine Übersichtskarte aller Standorte findest du auf www.wenningstedt.de. Mehr über Christel Lechners Kunst und Werdegang erfährst du auf www.christel-lechner.de.
Hast du eine Lieblingsfigur?
Moin Moin
Sehr positiv und erquikend aus dem wahren Leben.
Einige Skulpturen kenne ich noch nicht
Beim nächsten Sylt Urlaub dann.
Herzliche grüße nach Sylt
Halli Hallo,
ach schade. Ich hoffe ja, das die Alltagsmenschen nächstes Jahr im September 2021 wieder da sind.
Da wir dieses Jahr nicht nach Sylt konnten.
Ich liebe deinen Blog und deine Bilder.
Ich möchte auch so schöne Bilder machen oder bearbeiten können.
Liebe Grüße
elke von elkevoss.de
Hallöchen,
Musste heute sehr lachen: In Jork, im Alten Land, steht nun meines Erachtens auch eine Alltagsfrau!
Steht an einem Leuchtturm, kuckt fröhlich auf Deich und Menschen…
Die Alltagsmenschen haben uns vorletztes Jahr über die halbe Insel bewegt, laden zum Lachen, zur Interaktion ein, ganz tolle Kunst.
Herzliche Grüße ans syltfraeulein,
haben uns mal ein besonders kuschliges Café nahegebracht übers Buch, danke.
Geli
VIELE DANK, VELE MALEN IN DUITSLAND, WIE WAREN IN RHEDA- WIEDENBRUCK
SO SHUN,MOOI, WE KOMEN UIT NEDERLAND, ALMERE.
Hallo Finja,
danke für die wunderbaren Fotos und dein Interview. Ich bin zufällig hier gelandet, bzw. weil ich mich mit den Skulpturen von Christel und Laura Lechner beschäftigt habe. Einige stehen jetzt auch im Skulpturenpark in Eschborn-Niederhöchstadt (das ist bei Frankfurt am Main).
Du hast einen großartigen Blog. Da bekommt man Lust auf Sylt. Ich war noch nie dort.
Herzliche Grüße – Elke